Jetzt habe ich den Teil beendet, welcher mir in der Serie bisher am schwersten fiel. Teil 6 umfasste die eigentliche Tat.
Der Film bleibt hier übrigens sehr nah bei den tatsächlichen Begebenheiten.
In diesem Teil stellt Zuckmayer auch, ganz gesellschaftskritisch, den Unterschied zwischen den "Ungedienten" und den "Gedienten" am deutlichsten heraus.
Die "Ungedienten", z.B. Frau Bürgermeister und der Mitarbeiter des Stadtkämmerers verhalten sich durchaus skeptisch gegenüber dem Hauptmann, während die Reserveoffiziere und der Wachtmeister fast ohne Widerspruch Folge leisten.
"Befehl ist Befehl!"
Einmal wird es im Film sogar noch kritisch für Voigt, als Frau Bürgermeister die Soldaten fragt, was das überhaupt für ein Hauptmann sei.
Man könnte jetzt unterstellen, das Voigt gescheitert wäre, wenn der Bürgermeister und der Stadtkämmerer nicht gedient hätten.
Die Moral von der Geschichte nach Zuckmayer: Wer nicht gedient hat ist schlauer!
Zurück zu den Tatsachen:
Voigt schreibt in seinem Buch, dass er im Rathaus zuerst auf einen Ortsgendarmen traf, den er zum Dienst verpflichtete. Dann suchte er den Stadtsekretär auf, der in seinem Büro ruhig auf einen Stuhl saß. Voigt teilte ihm mit, dass er Befehl hätte, ihn nach Berlin zu bringen und stellte zwei Mann als Wache ab.
Im Anschluss suchte er den Bürgermeister auf. Dieser saß hinter seinem Schreibtisch und wirkte überrascht.
"Als er meine Charge jedoch erkannte, sprang er auf. Und wie ich auch ihm mitteilte, dass ich ihn auf allerhöchsten Befehl nach Berlin zur Wache zu bringen hätte, war er, wie begreiflich, zunächst darüber sehr bestürzt.
Er bat mich um Aufklärung und ich bedeutete ihm, dass er ja dort alles erfahren würde. Und als er weiter in mich drang, ihm zu seiner Beruhigung doch zu sagen, was eigentlich gegen ihn vorliege, da habe ich ihm völlig wahrheitsgetreu gesagt: ich wüsste das nicht.
Er versuchte noch alle möglichen Ausreden und Einwendungen; als Antwort stellte ich auch ihm zwei Grenadiere vor und übergab ihn deren Hut." (1)
So ganz widerspruchsfrei ging das also vermutlich nicht von statten.
Voigt fügt weiter an, dass in seiner ostpreußischen Heimat der Rendant den Titel Stadtkämmerer führt und gleichzeitig auch stellvertretender Bürgermeister ist. Er vermutete deshalb, dass das in Köpenick genau so ist.
Das erklärt auch, warum er den Stadtkämmerer und den Stadtsekretär ebenfalls festnahm. Damit hatte er die gesamte Führung der Stadt Köpenick verhaftet. Nach Abtransport der Gefangenen dürfte im Rathaus zunächst eine "Schockstarre" geherrscht haben. Das verschafft Voigt Zeit, zumindest bis zur Ankunft seiner Gefangenen in der Neuen Wache.
Tatsächlich hält sich auch ein stellvertretender Bürgermeister im Rathaus auf, der Voigt später anspricht und nach Aufträgen fragt. Den konnte er jetzt natürlich nicht mehr verhaften ohne sich verdächtig zu machen.
Auf den Weg zur Stadtkasse suchte er dann noch den Polizeiinspektor auf, den er nach seinen Angaben tatsächlich schlafend antraf. Der bekam auch laut Voigt, wie auch im Film dargestellt, einen ordentlichen Anpfiff. Voigt jagt ihn raus um auf der Straße für Ordnung zu sorgen.
"Schleunigst entfernte er sich, wurde aber von dem Posten am Portale nicht durchgelassen und kam ganz verdutzt und verstört zu mir zurück.
Der Posten ließe ihn nicht hinaus, erklärte er mir und bat mich, ihn doch zu beurlauben, da er baden müsse.Da mir dies wirklich dringend nötig erschien, so bekam er seinen Urlaub. Und wie es schien, war es tatsächlich eine große Wäsche, die er veranstaltete, denn ich bekam ihn nicht wieder zu sehen. Nachdem so auch dem Humor sein Recht geworden, trat wieder der ganze Ernst der Situation an mich heran, und ich suchte den stellvertretenden Bürgermeister auf. " (1)
Anmerkungen zur Kasse lasse ich hier erst einmal aus. Dazu möchte ich später noch in meiner Tatbewertung ein paar Zeilen extra schreiben.
Noch eine kleine Anmerkung zu der Szene mit den Stadträten:
Im Film halten sich diese im Rathaus auf und wollen hinaus. In der Realität waren sie draußen und wollten hinein um dort zwei Sitzungen abzuhalten.
Voigt will sie zunächst nicht hineinlassen, lässt sich dann aber doch überreden.
Hier befand sich unser Hauptmann in einer Zwickmühle. Er war mit einer Gruppe Soldaten erschienen, hatte alle Eingänge besetzt, und aus guten Grund durfte niemand hinaus, niemand telefonieren. niemand herein. Ein einziger Anruf in Berlin und er wäre aufgeflogen.
Durch den Aufmarsch der Soldaten erweckte er aber den Anschein als wäre da ein ganz "dickes Ding" passiert.
Und bei "ganz dicken Dingern" dürfen Dritte eben nicht den Einsatzort betreten. Das dürfte 1906 nicht anders gewesen sein als heute.
Denn die Gefahr, dass es zu Störungen des Einsatzes kommt, und wäre es nur durch Personen mit Redebedarf, wäre viel zu groß gewesen.
Genau so kommt es später auch noch, weil sich die Stadträte neugierig zeigen und eben nicht in ihren Sitzungsräumen bleiben.
"Es hatten sich die Stadtverordneten, Stadträte und städtischen Beamten, soweit sie im Rathaus anwesend waren, auf die Gänge hinausgewagt und beobachteten aus den Winkeln heraus die weitere Entwicklung der Affäre mit der gespanntesten Aufmerksamkeit.
Ich musste wiederholt die Herren darum ersuchen, sich in ihre Zimmer und an ihre Arbeit zu begeben." (1)
Voigt hingegen konnte die Stadträte aber nicht wegschicken, weil er damit rechnen musste, dass diese sich bei ihren Parteien beschweren, bzw. in Berlin anrufen. Er hätte also verfrüht auffliegen können.
Zum Thema Telefon behauptet Klaußmann in seinem 1906 erschienenen Buch, dass Voigt auf der Post, im Namen des Kaisers den Befehl gegeben habe, eine Stunde lang den telefonischen und telegrafischen Verkehr mit Köpenick zu unterbinden. (2).
Eine weitere Quelle hierzu konnte ich leider nicht finden.
Während Voigt im Film viel Zeit hat und die Wartezeit auf den Kassenabschluss im Ratskeller beim Mittagessen überbrückt, musste der echte Voigt ordentlich arbeiten. Die Beamten des Rathauses suchten ihn nämlich mit allerlei Verwaltungsangelegenheiten auf. "Die Verwaltung von Köpenick bin ich!" Das kommt davon.
Und was war nun mit dem Pass? Voigt gab schließlich später als Tatmotiv an, dass es ihm nur um einen Pass gegangen sei.
"Kurz hinterher, nachdem ich noch verschiedene städtische Angelegenheiten erledigt hatte, kam ein junger Mann und legte mir seinen Militärpass zur Einsicht vor. Als ich dieses Büchlein in die Hand nahm, erinnerte ich mich plötzlich des Augenblicks, in welchem ich meinen Pass in Tilsit in Empfang genommen hatte. Ich hatte ihn nicht im Polizeisekretariat, sondern im Sekretariat des Landratsamtes empfangen und wusste nun, dass ich vergeblich nach Köpenick gegangen war." (1)Voigt kommt also selber darauf, dass es in Köpenick keine Pässe gibt.
"Vor dem Rathaus winkte ich den Gendarm heran, machte ihn mit meinen Befehlen bekannt und beauftragte ihn nach dem Abmarsch der Mannschaften vorläufig mit der Aufrechterhaltung der Ordnung im Rathause sowie in der Stadt Köpenick.
Ich ging dann zu Fuß zum Bahnhof und fuhr mit dem Zuge nach Berlin." (1)
(1) Voigt, Wilhelm. Wie Ich Hauptmann von Köpenick wurde. Julius Püttmann, 1909, S.107 ff..
(2) Klaußmann, Anton Oskar. Der Falsche Hauptmann von Cöpenick. Verlagshaus für Volksliteratur und Kunst, 1906