Freitag, 20. Juni 2025

Der Hauptmann von Köpenick (11)

 Voigt landet erst einmal wieder hinter Gittern.


"Ich wurde kurze Zeit, etwa zehn Tage, nachdem das Urteil rechtskräftig geworden, zur Verbüßung meiner Strafe in die Gefangenschaft nach Tegel überführt.


Schon am Nachmittag desselben Tages besuchte mich der Direktor, und die ersten Worte, die er an mich richtete, sind mir heute noch gegenwärtig: »Nun sind Sie also nach langer Irrfahrt hier gelandet!«

»Jawohl, Herr Direktor«, antwortete ich, »aber an welchem Ufer!«

Es ist mir sehr erfreulich, hier sagen zu können, dass die Gefängnisanstalt Tegel, sowohl was die Beamtenschaft anlangt wie in Bezug auf Pflege und Fürsorge, geradezu mustergültig genannt zu werden verdient. Gerade ich konnte dies am besten beurteilen."
(1)


Voigt ist nun berühmt und hat viele Fans. 

Eine Frankfurter Zeitung hat für ihn gesammelt und er bekommt nach seiner Haftentlassung 2000.- Mark und eine Dame aus den "allerersten Kreisen" Berlins soll ihn eine Rente von monatlich 100.- Mark zugesichert haben. Behauptet Voigt. Es könnte sich hier um Gertrud Wertheim gehandelt haben, der Frau von Wolf Wertheim, eines Unternehmers und Bruder des Warenhausbesitzer Georg Wertheim. 

Das Gerücht über seinen "Reichtum" macht die Runde und Voigt bekommt Bettelbriefe. Aber auch sonst bekommt er viel Fanpost. 

Nach zwei Jahren Haft wird er begnadigt und auf Befehl des Kaisers sofort entlassen. Völlig überraschend, an einen Sonntag und ohne dass die Öffentlichkeit davon weiß., darf Voigt gehen. Und weil ja Sonntag ist, der Kassenbeamte und andere Beamte nicht im Dienst sind, leiht ihm der stellvertretende Sekretär eine Mark.


"Mit einem gewissen Wohlbehagen durchschritt ich die Straßen des Vorortes und freute mich an den wandernden, fröhlichen Menschen.

Ich wusste, mit welcher Teilnahme mein Ergehen in Tegel und meine Freilassung in der Welt verfolgt wurde.

War es mir doch zu Ohren gekommen, dass viele meiner Freunde sich verabredet hatten, am Tage meiner Freilassung vor den Toren des Hauses auf mich zu warten und mich abzuholen.

Hatten sich doch schon einmal früher, als das Gerücht verbreitet wurde, ich würde freigelassen, Hunderte von Menschen eingefunden, die mich sehen wollten.

Und heute?
Keiner von diesen Menschen dachte daran, dass ich unter ihnen wandelte, und so konnte ich unbelästigt das heitere Leben, das an schönen Sonntagen die Vororte von Berlin durchflutete, genießen.
Diese erste Stunde der Freiheit, die direkt der Gnade entflossen, unerwartet und doch so erwünscht kam, kann ich mit Worten nicht schildern! So etwas muss man erlebt haben!
" (1)


Voigt geht erst einmal zu seiner Schwester, die ist aber nicht zu Hause. Also besucht er zunächst seine ehemalige Verlobte und weitere Bekannte. 

Sein nächster Weg führt ihn dann auch schon zur Redaktion der Zeitung "Die Welt am Montag. 

Voigts weitere Karriere wird hier schon deutlich. Er wird "Influencer", nur halt mit den Mitteln von 1908.


"Aber schon war Frau Fama geschäftig gewesen. Alle Welt wusste von meiner Befreiung. Und bald hatten sich denn auch die Pioniere der modernen Zivilisation, die Amateurphotographen und Photographen vom Fach eingestellt; und während ich den Fuß auf den Tritt der Droschke stellte, waren bereits eine Anzahl von Objektiven auf mich gerichtet, um diesen denkwürdigen Moment zu verewigen.

Schon am frühen Morgen hatte die Post eine große Anzahl Briefe für mich gebracht, und ich wollte die Muße der Fahrt dazu benutzen, um sie auf dem Wege zur Stadt zu lesen.

Als ich aber einen Augenblick hinter mich schaute, sah ich, wie die Photographengesellschaft im Auto hinter mir herfuhr, an jedem Haltepunkt umstellten sie meine Droschke so, dass mein Kutscher nicht losfahren konnte, die Zwischenzeit benutzten sie, um mich in allen möglichen Stellungen aufzunehmen. Ich habe ziemlich drei Stunden gebraucht, bis es mir endlich gelang, ihren Glasaugen zu entkommen."



Friedrich Wilhelm Voigt, 1910.


Voigt veröffentlicht die von mir hier häufig zitierte Autobiografie. Er hält Vorträge, verkauft Postkarten mit seinem Bild und bringt es tatsächlich zu einigen Wohlstand. 
Damit kommt er aber nicht überall gut an. 
Paul Lindau zum Beispiel:

"Leider ist die Freude, die wir alle über die glückliche Wendung im Leben des köstlichen Hauptmanns empfunden haben, nicht ungetrübt geblieben. Wilhelm Voigt, so standhaft und aufrecht im Unglück, in der Ächtung – im Glück ist er getaumelt, die Höhenluft der Anerkennung hat er nicht vertragen können. Schon in den letzten Monaten seiner Gefangenschaft hat er eine Albernheit begangen, die einen fatalen Reklameduft ausströmte. Um die Sympathien für den wieder Verurteilten zu stärken und zu mehren, hatte eines unserer angesehensten Blätter die von Voigt in der Untersuchungshaft verfasste Selbstbiographie veröffentlicht, die der Angeklagte wohl zur Verlesung in der öffentlichen Sitzung bestimmt und der Verteidigung zur Verfügung gestellt hatte. Davon konnte indessen Abstand genommen werden. Die Haltung des Gerichtshofs stellte außer aller Frage, daß Voigt es diesmal mit weisen und gerechten Richtern zu tun hatte. Aber gerade, weil auch diese ihn verurteilen mussten, konnte eine nachträgliche Veröffentlichung des rührenden Elaborats, das die öffentliche Meinung nur noch mehr für den Verurteilten einzunehmen geeignet, von Nutzen sein.

Was tat nun Voigt? Anstatt sich für diesen Beweis freundlichster und wohlwollendster Gesinnung erkenntlich zu zeigen, machte er sich durch die kindische Drohung lächerlich, dass er, sobald er auf freiem Fuße wäre, die Redaktion wegen unbefugten Nachdrucks belangen werde!

Nach wiedererlangter Freiheit aber trieb ihn der in ihm aufgekeimte und nun üppig wuchernde Größenwahn zu einer Geschmacklosigkeit nach der andern. Er wollte sich – so in einer Art von Barnumschem -, oder Hagenbeckscher Raubtierschau – von Leuten, die »um das Rhinozeros zu sehen« keine Ausgaben scheuen, für Geld und gute Worte in Tingeltangels besehen lassen. Hat's vielleicht auch getan. Aber das unwürdige Handwerk ist ihm, wenn ich mich recht erinnere, wohl gelegt worden; oder es hat ihn aufgegeben. Ich weiß nicht genau. Er hat, glaube ich, mit seinen Postkarten gehandelt, gelegentlich durch seinen »Sekretär« die Zeitungen mit Berichtigungen gelangweilt und andere Torheiten der Art begangen. Der Mann hat mich in dieser Phase seiner Entwicklung nicht mehr interessiert. Wäre er doch der herrliche Hauptmann von Köpenick geblieben! 
Nun, solange es Menschen gibt, die für urkräftige Komik Sinn haben, wird er es bleiben. Das unsinnige Nachspiel wird man vergessen und nur eine unbestimmte Erinnerung daran bewahren, dass die zunächst erschütternde menschliche Tragödie nach ihrem komischen Höhepunkt einen zwar matten, aber doch versöhnlichen Schluss gehabt hat." (2)

Da war der Herr Journalist wohl ein wenig verärgert. Dabei hat seine Zeitung doch bloß Voigts Urheberrecht verletzt. Und dann will Voigt auch noch Geld mit seiner Geschichte verdienen? Unerhört!

Das macht er aber auf jeden Fall. Für eine Grammophonaufnahme bekam er 200.- Mark und im Berliner Wachsfigurenkabinett wurde seine Figur ausgestellt. Zumindest auf seinen Postkarten und Fotos trägt er auch wieder Uniform.


Wilhelm Voigt in Uniform. 

Die Originale kann es ja nicht sein, denn die wurde, wie wir uns erinnern ja eingezogen. Die Bilder kann man deshalb auch nicht zur Beurteilung heranziehen, wie glaubhaft Voigt als Hauptmann wirkte. 
Nicht nur dem Herrn Lindau, sondern auch der preußischen Obrigkeit gefällt sein Auftreten nicht unbedingt. Voigt steht ja weiterhin unter Polizeiaufsicht und dass eine oder andere Mal soll er auch verhaftet worden sein. 
Voigt trat deshalb zunehmend im Ausland auf und zog schließlich 1910 nach Luxemburg. 
Voigt war wohlhabend geworden und kaufte ein Automobil und ein Haus. 
Dann brach der 1. Weltkrieg aus und Voigt verarmte wieder. Er starb am 3. Januar 1922 im Alter von 72 Jahren an einer Lungenerkrankung. 

Noch einmal soll er da den Hauptmann gegeben haben. Der Trauerzug soll einen Trupp Soldaten begegnet sein. Der Offizier fragte, wer da beerdigt würde. Ihm wurde auf französisch geantwortet :"Le Capitaine de Coepenick!"
In der Annahme, dass es sich um einen echten Hauptmann handelt, wies der Offizier seinen Trupp an, den Zug mit einer militärischen Ehrenbezeugung passieren zu lassen. 

Und in Köpenick? Da gibt es im Rathaus eine Dauersaustellung zum Hauptmann. 

Ende


(1) Voigt, Wilhelm. Wie Ich Hauptmann von Köpenick wurde. Julius Püttmann, 1909

(2) Paul Lindau, Ausflüge ins Kriminalistische, Albert Langen, 1909

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